Dr. Oliver Blank

Es hat doch einiges an Zeit und Diskussionen gekostet, aber nun hat die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Und ihre Aufgaben sind wahrlich keine kleinen: Europas Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen, den Green Deal konsequent umsetzen, den demokratischen Zusammenhalt in Europa stärken.

Aber zunächst ein Blick auf das Jahr 2024: Am Abend des 9. Juni 2024 schlossen die letzten Wahllokale ihre Türen – Europa hat gewählt! Und das erfreulicherweise mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent. Auf diesen Tag – und sein Ergebnis – hatte die europäische Gemeinschaft und auch der ZVEI mehr als ein halbes Jahr lang hingefiebert. Und sehr vielen Europäerinnen und Europäern dürfte ein ganzer Felsbrocken vom Herzen gefallen sein, als klar war, dass die demokratischen, pro-europäischen Parteien eine stabile Mehrheit im Parlament erreicht hatten.

Der ZVEI positionierte sich inhaltlich mit seinen „electrifying ideas for Europe“ bereits im Vorfeld eindeutig für eine neue Kommission der Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und internationaler Partnerschaften – und machte sich zudem mit Nachdruck für die Demokratie und ein vereintes Europa stark. Mit der gleichnamigen Videokampagne mobilisierte der Verband zahlreiche Stimmen aus der Mitgliedschaft, sich gemeinsam, laut und deutschlandweit für eine demokratisches und zukunftsfähiges Europa einzusetzen. In ihren eigenen Worten formulierten die Testimonials, welchen Stellenwert Europa für sie ganz persönlich hat. Der sich darin widerspiegelnde hohe Stellenwert des Staatenbunds und die geäußerten Wünsche für Europas Zukunft machten eines deutlich: Es ist nicht alles perfekt in Europa, aber es lohnt sich unbestritten, die Gemeinschaft und die Zusammenarbeit zu erhalten und sie mit konstruktiven Vorschlägen voranzubringen.

Mehr denn je steht Europa in einem scharfen Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsräumen weltweit. Deshalb muss sich die EU auf die beiden Punkte besinnen und fokussieren, die ihr zum Erfolg verhelfen: Wettbewerbsfähigkeit und ein starker EU-Binnenmarkt. Der ZVEI erwartet daher von der neuen Kommission, dass sie den Fokus auf wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen legt und mit Schwung in die Umsetzung geht. Damit mehr Raum bleibt für Innovation in den Unternehmen. Der Titel der ampere-Ausgabe, die zur Europawahl auf Deutsch und Englisch erschienen ist, fasst diese Forderung in zwei Worten zusammen: Entfesselt Europa!

Genau darum muss es die kommenden Jahre gehen: Geben wir unserer Industrie durch einen umfassenden Bürokratieabbau wieder Luft für innovative Ideen, um gerade bei den Schlüsseltechnologien – etwa bei Mikroelektronik, Batterien, Speicher oder dem Einsatz von KI – gezielt besser zu werden. Das heißt auf keinen Fall, den Green Deal zurückzudrehen. Aber sämtliche beschlossenen Gesetze inklusive der Digitalregulierungen müssen auf Kohärenz und Kontingenz geprüft und angepasst werden, um doppelte, widersprüchliche oder überbordende Regulierung zu vermeiden. Auch Europa braucht eine Effizienzwende.

Die zweite richtungsweisende Wahl in diesem Jahr, war die US-Wahl. Donald Trump hat sich durchgesetzt – und nun ist es an uns, die kommenden vier Jahre sinnvoll zu gestalten. Europa muss sich auf einen weniger strukturierten und mehr Deal-orientierten Austausch mit der neuen US-Regierung einstellen und sollte seine Interessen klar und mit einer Stimme artikulieren. Der EU-Binnenmarkt bietet auch den USA viele Chancen. Ähnliches gilt für die Beziehungen zu China. Es braucht einen konstruktiven Dialog auf Augenhöhe – auch hier mit klaren, eindeutigen Botschaften. Die größere Rolle, die das Land in der internationalen Zusammenarbeit, bei der Bewältigung von Krisen und einer Kooperation beim Klimaschutz nun spielt, müssen wir anerkennen und sie stärker zu nutzen wissen.

Die kommenden fünf Jahre werden keine einfachen – zumal im Februar noch die vorgezogene Bundestagswahl in Deutschland stattfindet. Meine electrifying ideas for Europe und Wünsche an die neue EU-Kommission sind weniger Ankündigungspolitik, mehr Nähe zu den Menschen in Europa, eine realistische Perspektive auf mögliche Erweiterungen und mehr Gemeinsinn bei den Mitgliedstaaten untereinander. Demokratisch, wirtschaftlich und weltoffen – nur so kann Europas Zukunft gelingen.

Dr. Oliver Blank
Leiter European Affairs

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